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Vor ein paar Wochen erhielt ich spätabends in Afghanistan aus Frankfurt/Main von einem meiner gitarrenverrückten Freunde eine Messengernachricht mit einem integriertem Hyperlink auf YouTube-Content. Was erwartete mich? Ein Song mit dem Titel Versions Of The Truth von THE PINEAPPLE THIEF. Zusätzlich kommentiert: 'Mit Marimbas. Und geile Drums'. Um es vorwegzunehmen: Der Opener, der zugleich den Albumtitel vorgibt, ist mein Lieblingstrack des Albums. Ich stöberte selber noch ein bisschen bei YouTube durch die Diskographie und blieb bei einem Lied namens In Exile in einer Liveversion hängen. Den Typen an der zweiten Gitarre hast Du doch schon mal gesehen? Das ist doch Darran Charles, Kopf der Band GODSTICKS, auch beim Label KSCOPE unter Vertrag. Dann wird mir die Band eh gefallen :-)

Der Titel des vorliegenden Albums ist selbsterklärend. Aktuell erleben wir in unserer Realität besonders im Zusammenhang mit Covid-19 die Frage, was ist denn nun wirklich Wahrheit. In meiner momentanen Lebenswelt in Afghanistan ist das die Frage, nach dem Wert der Absprachen zwischen den USA und Vertretern der Taliban, wenn das massenhafte, tägliche Sterben in Folge von Angriffen und Anschlägen gegen afghanische Streit- und Sicherheitskräfte alles andere als Friedenswillen zeigt. Und dass auch zusätzlich Zivilisten getötet, verwundet, verstümmelt werden im Zuge solcher Aktionen oder ungeplant, weil sie auf ihren Wegen im Land zufällig eine verborgene opferausgelöste Sprengfalle aktivieren und just 12 Passagiere auf einem Tuk-Tuk grausam ihr Leben verlieren. Und die Wahrheit der Zivilbevölkerung ist, dass sie keinen Friedensvertrag mit Amnestisie für die Aufständischen haben wollen, weil ihre Gerechtigkeit vorsieht, dass bereits zum Tode verurteilte oder des Mordes angeklagte Aufständische ihre verdiente Strafe erhalten sollen. Und wenn Söhne verloren wurden, wollen die Mütter den Tod der Täter. Und die Wahrheit ist, dass bei den Gefangenenaustauschen genau diese Täter schon zigfach freikamen, und sogar wieder den Weg zu ihren Waffenbrüdern fanden. Die Deutungshoheit für die Wahrheit sollte fakten-/evidenzbasiert, aber nicht selektiert und intensionalisiert sein. MeinungsBILDUNG statt -mache. Nachvollziehbare Überzeugung statt lobbyistischer Überredung.

Zurück zur Musik. Hier und da erfreuen sich Ohr und Gehirn an ungewöhnlicher Instrumentierung wie die bereits erwähnten Marimbas im Opener oder das griechisch bzw. orientalisch anmutende Lick eines Saiteninstruments bei Demons. Gavin Harrison würzt sein Spiel hinter der Schießbude immer mal wieder mit einer Variation an Fills, um die Rhythmik vertrackter zu gestalten. Die Musik ist sehr dynamisch und liefert immer wieder Spannungsbögen. Der Klang ist dicht, aber nicht überkomprimiert. Im Gegensatz zu LONG DISTANCE CALLINGs Ansatz allein (und fast ausschließlich) die Instrumente als Stimmen einzusetzen und den Rezipienten mit seinen Assoziationen freien Lauf zu lassen, verwenden THE PINEAPPLE THIEF den traditionellen Ansatz mit Gesang und demzufolge einer lyrischen Vorgabe zur Interpretation. Kann man kein Englisch, ist die Stimme einfach ein weiteres Instrument... Bewusst den Textinhalt überhörend wird man eingelullt. Die oft vorkommende Mehrstimmigkeit des Gesangs erinnerte mich im ersten Durchlauf sofort an BIFFY CLYRO. Meine Wahrheit. Da fühlte sich mein Musikgeschmack gleich wohl, das gilt eben auch für das Arrangement der Lieder. 

Versions Of The Truth von THE PINEAPPLE THIEF bekommt für mich eine sehr hohe Bewertung, weil es eine große Schnittmenge mit meinen Hörgewohnheiten gibt. Die Facette der Wahrheit eines Mitredakteurs und ehem. Bandkollegen mit den Initialen TZ dazu ist leicht zu antizipieren: Bei Deinem Muckermusikgeschmack, der so gar nicht True Metal ist, ist das auch kein Wunder. 

Kategorie

V.Ö.

04. September 2020

Label

KSCOPE

Spielzeit

45 min

Tracklist

1. Versions Of The Truth
2. Break It All
3. Demons
4. Driving Like Maniacs
5. Leave Me Be
6. Too Many Voices
7. Our Mire
8. Out Of Line
9. Stop Making Sense
10. The Game

Line Up

Bruce Soord - Gesang, Gitarre
Gavin Harrison - Schlagzeug
Jon Sykes - Bass
Steve Kitch - Keyboards

Bewertung

1