Zwanzig super erfolgreiche Jahre Eisbrecher. Ausgebuchte Touren, eigenes Festival, die fünf letzten Alben waren mindestens Platz vier, „Sturmfahrt“ und „Liebe Macht Monster“ thronten sogar auf der Eins. Zu diesem Anlass präsentieren uns Alex Wesselsky und seine Männer eine üppige Werkschau mit 40 Songs aus zwei Dekaden neuer deutscher Härte. Das ist die perfekte Gelegenheit, sich mal inhaltlich kritisch mit dem Werk von Eisbrecher zu befassen.
Ich muss zugeben, Eisbrecher geben mir nicht viel. Das hat aber wenig damit zu tun, ob ich sie persönlich sympathisch finde oder nicht, oder ob ich den Gesang von Fronter Alexander Wesselsky mag oder nicht. Natürlich kann man sich stören am Ego vom Selbigen und dem permanenten Vergleich, wer im deutschrockigen Bereich jetzt über Eisbrecher thront und dem zwanghaften Bedürfnis, unbedingt die Nummer 1 zu sein. Es liegt auch nicht an der Kompostition und dem Sound. Auch wenn sie letztlich in den späten Jahren immer ein wenig kommerzieller geworden sind, ist der Sound fett und solide, manchmal vielleicht ein bisschen überproduziert. Aber geschenkt. Wenn jemand Eisbrecher mag und meine Lieblingsband doof findet, können wir trotzdem eine gute Zeit miteinander haben. Es ist sogar so, das auf dieser Werkschau mit „Die Engel“ und „Himmel“ zwei richtig gute Songs vertreten sind.
Ich habe aber ein inhaltliches Problem. Eisbrecher sind mir schon immer zu gewollt edgy. Zu krampfhaft drehen wir uns im Kreis um den ewigen Kampf „Wir gegen die da oben“, respektive „Wir gegen irgendwas“, der, sorry Leute, ab einem gewissen Grad des Erfolges einfach nicht mehr glaubwürdig ist. Auf dem letzten Album war es zum Beispiel „Dagegen“ feat. Dero Goi (was es Gott sei Dank hoffentlich aus genau diesem Grund nicht auf diese CD geschafft hat) und FAKK, welches es leider auf diese CD geschafft hat. Ja, man kann wieder über den Song streiten, aber es kann kein Zufall sein, das ein Jugendslang rappender Alex Wesselsky im gelben Trainingsanzug und das Jugendwort „Cringe“ im selben Jahr erschienen sind. Hey, wir sind zwar jetzt supererfolgreich, aber eigentlich sind wir noch Straße und kämpfen mit euch gegen ein imaginäres „Da Oben“
Auf der anderen Seite haben wir noch die Songs, wo ich mir von Seiten der Band einfach gern eine kritische Betrachtung gewünscht hätte, um dann zu entscheiden, dass diese Songs nicht mehr zeitgemäß sind. Namentlich wären das auf diesem Doppelalbum die Tracks „Heilig“, „Miststück“, „Böse Mädchen“, „Zwischen uns“ und „Noch zu retten“, die auf die eine oder andere Weise problematisch sind.
Bevor ich zur Erläuterung ansetze, stelle ich eines vorweg klar. Es geht mir hier nicht darum, Eisbrecher Machtmißbrauch oder dergleichen zu unterstellen, sie in irgendwelche Töpfe zu stecken oder mit brisanten Bands zu vergleichen, ich trenne hier ganz klar das Werk vom Künstler. Es geht mir um Verantwortung. Von Bands, von uns Fans, die im Publikum stehen und feiern, eigentlich von jedem. Worte haben Macht, Lieder haben Macht und Bands haben Macht. Auch wenn uns Publikum das nicht so bewusst ist, aber wenn Bands uns auffordern, mitzuklatschen, mitzusingen, Circlepits zu gründen, üben sie Macht aus. Das ist völlig in Ordnung, weil es consent ist. Ich als Fan will ja feiern, und meine Lieblingsband lädt mich dazu ein, alles fein.
Jetzt leben wir aber gerade in Zeiten des längst überfälligen,genderübergreifenden Umbruchs auf der einen Seite, und der Tatsache, das sich Frauen auf bestimmten Konzerten nicht mehr wohlfühlen. Keine Angst, dieses Fass mache ich hier nicht auf und werde auch keine Vergleiche anstellen, aber schauen wir uns mal folgende Zeilen an:
Geblendet verhungert und verendet
Die beste Zeit Verschwendet
An eine Schlampe wie dich
Du bist ein Miststück
Du bist ein Stück Mist
Du bist ein Miststück
Ein Stück Mist
Mal davon abgesehen, das der Song musikalisch selbst nicht besonders gut ist und sich schon auf dem Best Of zum 15 jährigen Jubiläum findet, zementiert er einfach ein archaisches Bild, was zur heutigen Zeit einfach nicht mehr passt. Expliziter wird es in „Heilig“:
Sei still und knie Dich nieder,
ganz tief in meinen Schoß.
Mein Fleisch ist hart und willig
Und Gott ist groß!
Ich sprech Dich heilig.
Ich sprech Dich heilig mein Kind.
Hör auf zu schreien, Strafe muss sein,
denn es gibt nichts zu bereuen.
Ich lasse mich gern eines besseren belehren, man kann jetzt auch argumentieren, dass ich hier falsch interpretiere und die tiefere Bedeutung eine kritische Abrechnung ist, aber diese Zeilen heute auf einem Best Of zu veröffentlichen, ist jetzt gerade maximal unsensibel und taktlos. Es gibt bei dem Track auch keinen Hinweis darauf, dass das eine satirische Abrechnung wäre. Und ganz ehrlich, wer von uns Fans steht bei einem Konzert im Publikum und tauscht sich mit seinem Nachbarn über die Interpretation des Dargebotenen aus?
Die Frage ist, hätten sich Eisbrecher einen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn man diese Songs einfach weg gelassen hätten? Mit Sicherheit nicht. Wir sprechen hier von 40 Songs mit einer Spielzeit von 2 Stunden 40 Minuten. Auf den einen oder anderen Song wäre es da nicht angekommen. Aber, und das ist die kommerzielle Kehrseite der Medaille, warum sollten sie denn? Wir, die Musikfans und ihr Publikum, feiern die Songs doch und vergessen einfach für den Moment, das wir eigentlich weg wollen von verkrusteten Strukturen, von Abwertung und Ausgrenzung, das wir gerade in der „schwarzen Szene“ für Weltoffenheit und Toleranz stehen, weil man „Miststück“ einfach so verdammt gut mitgrölen kann.
Aber warum hab ich gerade bei diesem Album ein Problem mit solchen Texten? Ganz einfach, Eisbrecher sind Vollprofis und irgendwann muss und darf man solche Inhalte auch mal kritisieren. Weil wir eben in den Köpfen doch noch nicht da sind, wo wir gern wären, aber jemand in der Größenordnung von Eisbrecher durchaus in der Lage wären, das ganze zu steuern. Vielleicht sollte man nicht immer den Kampf gegen Obrigkeiten suchen, sondern dazu beitragen, bestimmte, überholte Gesellschaftsbilder positiv zu besetzen. Der Kampf könnte viel weiter unten anfangen, nämlich bei unserer Haltung. Warum sollten wir „Dagegen“ sein, wenn unser eigenes Handeln für viele Menschen schon problematisch ist. Die Ärzte haben es vorgemacht und spielen „Die fette Elke“ aufgrund des fatshamings und der Misogynie nicht mehr. Es wäre so einfach.
Schade um zwei wirklich gute Tracks, aber aufgrund der Songauswahl ist diese Sammlung für mich unhörbar.
Kategorie
V.Ö.
Label
Spielzeit
Tracklist
Disk 1
- Mein Blut
- Eiszeit
- Schwarze Witwe 2018
- This is Deutsch
- Ohne Dich
- Amok
- Vergissmeinnicht
- Augen unter Null
- Böse Mädchen
- Eisbrecher 2013
- Leider
- Herzdieb
- Verrückt
- Die Engel
- Herz aus Eis
- Kein Mitleid
- Heilig
- Herz steht still
- Miststück 2012
- Anfang
- 1000 Narben
- Sturmfahrt
- FAKK
- Zwischen uns
- Was ist hier los?
- Freiflug
- Volle Kraft voraus
- Im Guten Im Bösen
- In einem Boot
- Kontrollverlust
- Rot wie die Liebe
- Eisbär
- Noch zu retten
- Anna Lassmichrein Lassmichraus
- Liebe Macht Monster
- Schock
- Automat
- Out of the Dark
- Himmel
- Wir sind Gold
Line Up
Jürgen Plangger - Gitarre
Achim Färber - Schlagzeug
Noel Pix - Leadgitarre, Keyboards
Rupert Keplinger - Bass, Gitarre