Skip to main content


DEVIN TOWNSENDs Livealbum lohnt sich musikalisch und auch vom Mix her - natürlich besonders für diejenigen, die seine Musik mögen. Zu Livealben gibt es differenzierte Meinungen: Einerseits können sie das Konzert-Feeling nicht einfangen, weil gerade die Reaktionen des Publikums eher zweidimensional flach wirken, quasi bloß wie ein Rauschen, andererseits ist dient es denjenigen, die da waren, als Erinnerung, andere erfreuen sich an (mitunter) alternativen Versionen bekannter Songs, Dritte, die nicht zu den Konzerten konnten, können zumindest mit der Retorte das Verpasste nachempfinden.   

Zu Beginn Quenstion and Answer: Warum endet der Albumtitel mit Volume 1? Die Tour zum Empath sollte in drei Abschnitten erfolgen - ich habe allerdings keine Ahnung, ob es tatsächlich so umgesetzt wurde. Und dieses Konzert erfolgte während des ersten Abschnitts. DEVIN TOWNSEND trat jedenfalls im Dezember 2019 in einem umgebauten Lokschuppen namens The Roundhouse im Londoner Stadtteil Camden auf. Auf der Bühne sammelte er um sich neun weitere Mitmusiker, darunter gewöhnliche Instrumentalisten inkl. Co-Sängerin und dreier Backgroundsängerinnen. Eher ungewöhnlich im Ensemble ist der deutsche Musiker Markus Reuter. Er bedient eine sog. (achtsaitige) Touch Guitar. Diese ist von der Spielweise dem Chapman Stick nah. Er hat in der Regel 10 Saiten und wird mit beiden Händen per Tapping beinahe senkrecht gehalten gespielt (Eddie van Halen hat das Tapping bekanntermaßen richtig berühmt gemacht. RIP! Klangerzeugung durch Klopfakupressur, d. h. die Saiten werden in Richtung Griffbrett zwischen den Bundstäbchen mit den Daumen- und Fingerspitzen angeschlagen).

Ein Blick in die Vergangenheit: Das erste Mal nahm ich DEVIN TOWNSEND wahr auf dem Cover des Guitar Player Magazins Anfang der 1990er, als er als Sänger von Steve Vais Band im Zuge des Albums Sex and Religion dem Publikum vorgestellt wurde. Steve Vai ist bekanntermaßen ein Hexer an der Gitarre, eine liebenswerte Persönlichkeit - ich kann ihn mir nicht lange anhören. Townsend war für mich nicht von Interesse. Ein paar Jahre später erhielt ich eine Promo-CD der Industrialkapelle STRAPPING YOUNG LAD. Das war für meine Ohren härter als FEAR FACTORY oder MINISTRY. Welcher Name tauchte auf dem Booklet und Cover auf? Richtig, DEVIN TOWNSEND. Dauerhaft als Fan packte er mich mit seinem späteren Projekt OCEAN MACHINE: BIOMECH. Wie wesentlichen Trademarks konservierte er bis in die Zukunft: Sphärische Hymnen, Melodien, Groove. Meine Treue erreichte er auch, weil er irgendwann die meinerseits sehr geschätzte ANNEKE VAN GIERSBERGEN (THE GATHERING, VUUR) als Gastsängerin immer für Veröffentlichungen gewinnen kann. In den vergangenen sieben Monate in Afghanistan nutzte ich die Zeit außerhalb des Dienstes zum Musikhören. Und die Alben DEVIN TOWNSENDs liefen oft zum Einschlafen rauf und runter. Aus diesem Grund wird man keinen Veriss erwarten.

Für mich ist das Album schon deshalb klasse, weil er Deadhead, mein Evergreen aus seinem gesamten Werk, spielte. Die Setlist beinhaltet sonst überwiegend Songs vom 2019er Album Empath. 
Mir gefällt auch der Mix des Albums. Das Schlagzeug hat den typischen Livehall, dem Gesamtklang fehlt jedoch nichts an Volumen und Druck. Und die Reaktionen des Publikums hat man durch gute Mikrophone und deren Positionen so eingefangen, dass man den Eindruck hat, man stünde in der Menge. Beim Stone Sour Livealbum hatte man im direkten Vergleich im Mix subjektiv dem anwesenden Auditorium weniger Raum und Nähe eingeräumt. 

DEVIN TOWNSEND sollte man der Einfachheit halber keinem Genre zuordnen, sondern ihn als sui generis betrachten. Er denkt Musik weniger in Noten als in Farben. Das Publikum wird gleich zu Beginn des Openers Borderland zu einem gut zweistündigen Urlaub eingeladen. Das ist allzu konsequent, da er mal äußerte, dass er Empath wie eine Reise komponiert und arrangiert habe.
Sein eigentümlicher Stil ist melodisch, episch, manchmal hart, manchmal verträumt, pathetisch, musicalhaft, hymnisch, groovy usw. Ein bisschen so wie FRANK ZAPPA und PINK FLOYD auf Metal - unterhaltsam allemal, jedoch immer mit der 'Gefahr', dass ein unerwarteter Bruch die Harmonie entzweit. Und das mitunter sogar in einem Song - vgl. Kingdom. Im Konzert brachte er das Cover Disco Inferno (im Original im Jahr 1976 durch The Trammps herausgebracht) auf die Setlist und spielte es tatsächlich im 70er Jahre Klang des Genres Disko. 

Neben meinem Lieblingslied Deadhead finde ich Spirits Will Colide sehr gelungen. Dominiert durch den Chor seiner Sängerinnen begleitet es DEVIN TOWNSEND auf einer Akustikgitarre (wobei ich ausgehend Höreindruck meine, dass der E-Bass auch die ein oder andere tiefe Frequenz beisteuert). 

DEVIN TOWNSEND ist vom Naturell eine absolute Frohnatur mit einem Schalk im Nacken.  Mit dieser guten Laune interagiert er mit seiner Band und anwesendem Publikum und mittelbar auch den Konsumenten des Albums (oder DVD/BluRay). Ich habe mich gerne auf seine Klangreise eingelassen, langweilig sind seine Songs eh nicht, weil sie viele Schichten (und Spuren haben).  

Konzert- und Festivalgenuss wird anhaltend durch Covid-19 gar nicht oder nur unter großen Auflagen stattfinden. Der Konsum von Livealben in diesen Zeiten sollte uns vor Augen führen, dass es massive Existenzsorgen bei den in der Veranstaltungsbranche beschäftigten Menschen gibt ohne substantielle Kompensatioskonzepte des Staates, diese zu kompensieren. Der Spruch Augen auf bei der Berufswahl ist da mehr als zynisch. Während meiner Zeit im Ausland bot DEVIN TOWNSEND sog. Quarantine-Concerts an. One-man-show-Konzerte zu Backing Tracks, die er aus seinem Studio im kanadischen Vancouver via YouTube ausstrahlte, um damit zu unterhalten und gleichzeitig für caritative Zwecke zu sammeln. Insofern: Gebt weiter Geld aus für CD, mp3, Vinyl, DVD, BluRays und Merch, um so den Künstlern samt deren Crews Einkünfte zu ermöglichen. 

Kategorie

V.Ö.

23. Oktober 2020

Label

Inside Out Music

Spielzeit

108:56 min

Tracklist

1. Borderlands
2. Evermore
3. War
4. Sprite
5. Gigpig Jam
6. Coast
7. Gato
8. Heavens End
9. Ain't Never Gonna Win
10. Deadhead
11. Why?
12. Lucky Animals
13. Castaway/Genesis
14. Spirits Will Collide
15. Disco Inferno
16. Kingdom

Line Up

Devin Townsend - Gesang, Gitarren, Synths, Bass, Computer
Morgan Ågren - Schlagzeug
Nathan Navarro - Bass
Mike Keneally - Gitarren, Keyboards
Che Aimee Dorval - Gitarren, Gesang
Diego Tejeida - Keyboards
Markus Reuter - Chapman Stick
Samantha Preis - Gesang
Anne Preis - Gesang
Arabella Packford - Gesang

Bewertung

1