Samstags an der Brötchentheke kann man schöne Szenen erleben. Der Kollege vom städtischen Gymnasium kauft den gesamten Brötchenbestand auf und lässt sich dabei schön viel Zeit. Dies verleitet den Verkäufer zu der Bemerkung, dass Lehrer ja schließlich auch genügend Zeit hätten. Mal abgesehen davon, dass sie im Geld schwimmen und daher auch ruhig Klassenfahrten aus eigener Tasche zahlen könnten, diese alten Geizhälse. Da ist mir doch glatt ex-Kanzler Schröder erschienen und ich musste mich zuhause in Therapie begeben: RENATE ALFs „Carttons für LehrerInnen“.
Dazu, dass die studierte Biologie- und Französischlehrerin gerade noch die Kurve gekriegt hat, und in ein anderes Metier außerhalb der Schule gewechselt ist, kann man die gebürtige Göttingerin ja eigentlich nur beglückwünschen. Trotzdem haben sie die Themen Schule und Kindererziehung nie ganz losgelassen. Und die vorliegenden 80 Seiten sind vierfarbiges Zeugnis ihrer Insiderkenntnisse. Schon das Titelbild erzählt von der Realität des entspannten Lehrerwochenendes, vor allem wenn man im Studium dumm genug war, statt Mathe und Physik doch lieber Korrekturfächer wie Englisch und Deutsch zu studieren. Drei Ableitungen sind dann eben doch schneller durchgesehen als eine Abhandlung zu Goethes Faust. Aber dafür hat man wenigstens ausreichend (un-)interessante Lektüre für den Urlaub auf Lager (S.9).
Und wer glaubt, dass RENATE ALF in ihrer Cartoons fantasiert, der sollte sich mal auf eine Klassenreise begeben (S.13, S. 38), um die entsetzten Schülergesichter zu sehen, wenn das Handy ohne Netz zur leblosen Hülle verkommt. Doch die Cartoonistin nimmt nicht nur das abenteuerliche Verhalten der Schüler aufs Korn, sondern auch selbstironisch die nervigen Angewohnheiten der Lehrer – schließlich ist man immer im Dienst und da kann beispielsweise ein falsch gesetztes Genitiv-S auf dem Schild der Würstchenbude eben einfach nicht unkorrigiert stehen bleiben (S.16). Aber seien wir doch auch mal ehrlich: Wenn Restaurants auf ihrer Autowerbung Dinge wie „Steak’s und Schnitzel“ stehen haben, muss man doch auch ganz ohne Sonnenfinsternis davon ausgehen, dass der Untergang des Abendlandes unmittelbar bevorsteht.
Und wenn ich die Situation nicht bereits selber ganz genauso erlebt hätte, würde ich es für maßlos übertrieben halten, dass ein Schüler auf die Idee käme, seine Plagiatsversuche dadurch zu rechtfertigen, dass er den Text selber auf die entsprechende Website hochgeladen hätte (S.21).
Doch auch der Reformwahnsinn der letzten Jahr wird auf herausragende Weise mit spitzem Stift und scharfem Verstand zu Papier gebracht: Neue Kurrikula, Bildungskuddelmuddel in den Ländern oder Ideen zur Abschaffung der Noten. Seltsam, dass niemand zu bemerken scheint, dass es gerade die Schüler sind, die eine greifbare Bewertung immer wieder einfordern (S.42).
Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen (Eltern, die jeden Morgen die Zufahrt zur Schule blockieren; die Entscheidung: Dienst nach Vorschrift oder Burnout; Eltern, die Kollegen sind und alles noch besser wissen; die vollkommen „normale“ Stunde der Referendare usw.).
RENATE ALF zeichnet den Schulalltag im 21. Jahrhundert mit all seinen Facetten und braucht dafür weniger Seiten als das Ministerium für ihre ständig neuen Kurrikula und weniger bedeutungslose, aber wohlklingende Worte als ein Fachleiter für eine Stundenbesprechung mit seinen Referendaren.
„Cartoons für Lehrerinnen“ sollte zur Pflichtlektüre in jedem Einführungskurs für Lehramtsstudenten werden. Und in jedes Lehrerzimmer gehört es sowieso.