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„Don´t judge a book by it´s cover“ ist zwar ein wahrer Ausspruch, ein von Away sehr ansehnlich gestalteter Einband kann aber nicht schaden. Gerade wenn die nachfolgenden 500 Seiten das Niveau halten. Klar ist, dass Noise nicht ohne deren Chef Karl-Ulrich Walterbach zu beschreiben sind. Es handelt sich aber nicht um seine Biografie. Um Noise zu verstehen, macht es schon Sinn, dass Gehlke sich mit dessen Sozialisation beschäftigt. Ich wusste gar nicht, dass Walterbach schon vorher im Punk Bereich sehr aktiv war und die erste SLIME veröffentlichte oder die BAD BRAINS als Erster nach Europa holte. Beide Bands sind unbestrittene Pioniere ihrer Sounds.
Dann aber kamen Noise Records und wohl jeder Metal Fan hat eine Scheibe dieses Labels im Schrank. Mit KREATOR, HELLOWEEN, TANKARD, HELLHAMMER/CELTIC FROST, GAMMA RAY, GRAVE DIGGER, RUNNING WILD, VOIVOD und so einigen anderen finden sich extrem viele hochkarätige Veröffentlichungen im Katalog des Berliner Labels. Noise haben sich an Bands getraut, die selbst von Teilen der Metal Szene als dilettantischer Krach abgetan wurden. Wer sonst hätte TORMENTOR oder HELLHAMMER nach deren ersten Demos einen Plattenvertrag angeboten?
Es ist ja allgemein bekannt, dass nicht alle Bands im Guten mit Walterbach auseinander gegangen sind. Gehlke stellt die Meinungen von Musikern und dem Labelboss gegenüber und ermöglicht es dem Leser somit, sich sein eigenes Bild zu machen. Gehlke schafft es - wie auch Kollege Zwingelberg in den lesenswerten Blast From The Past Interviews - mich zu fesseln auch wenn Bands wie GRAVE DIGGER oder RUNNING WILD musikalisch nicht wirklich mein Geschmack sind. Insbesondere die Geschichten um die ersten Releases sind interessant. Das Bild von Walterbach ist nicht immer stimmig. Der hat auf der einen Seite viel vom Anarchisten aus der Punk-Zeit andererseits auch sehr autoritäre Züge. So werden schon mal Entscheidungen über die Releases ohne Rücksprache mit den Bands getroffen. Er hat sich eher als Geschäftsmann und nicht als Fan verstanden, was als Inhaber einer Firma ja OK ist.
Neben all den Anekdoten aus der Zeit erfährt man beim Lesen des Buchs auch viel über die Mechanismen der Musikindustrie. Die sind – auch wenn viele es gern hätten – nicht anders als in anderen Wirtschaftszweigen. Wenn eine Band als wirtschaftlich lohnende Anlage angesehen wird, klopfen die Großen an und machen unmoralische Angebote. Dieser Mechanismus gilt übrigens auch für ganze Labels. So wurde auch der Noise Katalog zwei Mal verkauft. Das es sich in der Regel um ein kurzfristiges ausquetschen handelt, das sich negativ auf die musikalische Entwicklung auswirkt, wird ebenfalls deutlich. Auch äußere Einflüsse wie der Grunge Boom und die Digitalisierung werden berücksichtigt.

Das aufwendig recherchierte Buch (das es auch in englisch gibt) liest sich, als hätten Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander die Fakten akribisch zusammengetragen. Für ´Systemstörung – Die Geschichte von Noise´ wurden unglaublich viele Interviews geführt. Das Buch ist eine Herzensangelegenheit, denn der Stundenlohn liegt wohl im niedrigen Cent Bereich. Selbst in kleinen Nebensätzen wird deutlich, dass sich Gehlke gut in der Metal Szene jenseits der Noise Bands auskennt. Ein lesenswerter Schmöker nicht nur für Fans der großen Noise-Bands.


Bewertung

1