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  • Sonata Arctica, Witherfall – “Acoustic Adventures Tour”

    | Thorsten Zwingelberg | Konzerte
Wann hat der Allerwelts-Metaller schon einmal die Gelegenheit sich wie das Bildungsbürgertum beim Jazz-Frühshoppen zu fühlen? Die „Acoustic Adventures“ Tour gab Gelegenheit dazu und mit der Fabrik in Hamburg hatten die Bands auch noch die passende Location für diesen Anlass ausgewählt.

„Gleich hinterm Elbtunnel fängt der Wilde Westen… ähh… Finnland an.“ So oder so ähnlich hatten es TRUCK STOP, glaube ich, mal besungen. Tatsächlich liegt die Fabrik im Hamburger Stadtteil Ottensen verkehrsgünstig für A7-Reisende direkt hinter dem Elbtunnel in einem lebhaften Kiez. Ich hatte in fast 30 Jahren Konzertbesucherei noch nie von dem laden gehört und war nun positiv überrascht. Gemütlicher Industrie-Style mit Wohnzimmeratmosphäre erwartete uns, als wir pünktlich um 19 Uhr in die heiligen (bestuhlten) Hallen eingelassen wurden und uns einen Sitzplatz in der zweiten Reihe sichern konnten: Perfekten Blick auf die Bühne, Rockstars zum Anfassen und direkte Soundbeschallung inbegriffen.
Direkt am Bühnenrand ließen sich um 20 Uhr die amerikanischen Prog-Metaller WITHERFALL nieder und griffen zu den Instrumenten. Die Amis haben passend zum Tour-Motto mit „Vintage“ eine Akustik-EP im Gepäck, so dass der Posten als Anheizer für SONATA ARCTICA hervorragend passte. Mit Ahmad Dubose-Dawson an den Trommeln, Rasseln usw. und Alex Nasla an den Keyboards und dem Background Gesang hatten die Kaliforniern gleich zwei Leute mit an Bord, die ich bislang noch nicht kannte. Allerdings bin ich auch wirklich kein WITHERFALL Experte. Gleich zu Beginn der Show wurde klar, dass das Akustik-Setting auch für professionelle Musiker gewöhnungsbedürftig ist, denn die Atmosphäre ist deutlich intimer, die Kommunikation zwischen Musikern und Publikums unmittelbarer. So schlichen sich selbst bei solch versierten Musikern wie WITHERFALL anfangs einige Unsicherheiten ein. Darüber sahen aber sowohl Fans als auch Musiker mit einem Lächeln hinweg und irgendwann hatte sich die Band dann auch eingegroovt und ließ sich weder vom herben Jever Pils noch von kleinen Abspracheproblemen nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, Anthony Crawford frickelt in atemberaubendem Tempo auf seinem Tieftöner rum und Gitarrist Jake Dreyer flitzte regelrecht über das Griffbett seiner Akustikklampfe. Frontmann Joseph machte nicht nur durch sein samtrotes Jackett auf sich aufmerksam, sondern auch durch stimmliche Ausflüge in höchste Regionen. Spätestens mit „Ode To Despair“ hatte die Band das Publikum auf seiner Seite und Songs wie „I want back down“ von TOM PETTY oder „The Great Awakening“ vom 2017er Debüt der Band wirkten auch im akustischen Gewand perfekt. Vielleicht hätten sich einige der Anwesenden dennoch gewünscht, dass die Jungs „Fade to Black“ zu Ende bringen. Nächstes Mal vielleicht. Nach einer knappen Stunde konnten WITHERFALL jedenfalls zufrieden von der Bühne gehen und das Publikum verabschiedete die sympathischen Amis mit donnerndem Applaus.
 
Die Umbauphase wurde mit zwitschernden Vögeln vom Band überbrückt. Entschleunigung pur. Das Bühnenbild wurde am heutigen Abend vor allem durch die urige Atmosphäre der Location bestimmt, einen Backdrop oder andere Gimmicks gab es leider nicht. Insofern fand ich die optische Umsetzung eines „akustischen Abenteuers“ wenig abenteuerlich und etwas ungemütlich und lieblos. Bands wie FIDDLER’S GREEN haben in der Vergangenheit vorgemacht wie man die gemütliche Atmosphäre eines Pubs oder eines Wohnzimmers auf die Bühne bringt. Zudem hatte ich in einigen Videos von der laufenden Tour bereits gesehen, dass Elias Viljanen seine Stromgitarre bearbeitet und Pasi Kauppinen seinen E-Bass. Insofern ging ich mit gemischten Gefühlen in den Abend, unsicher wieviel Akustik es tatsächlich geben würde.
Die Finnen stürzten sich dann aber sofort voll in die Show und fanden mit „Life“, „Only the Broken Hearts“ und „Half A Marathon Man“ einen guten Einstieg. Eine Akustikklampfe suchte man bei Elias allerdings tatsächlich vergeblich. Diese Aufgabe übernahm heute Multiinstrumentalist und AMORAL Gitarrist Masi Hukari. Elias shreddede stattdessen in Höchstgeschwindigkeit übers Griffbrett. Mit „Full Moon“ erreichte die Setlist den ersten Höchepunkt des Abends und an den Publikumsreaktionen zeigte sich wer heute der Headliner war. Frontmann Tony plauderte anschließend aus der biographischen Schatzkiste und erklärte die Entstehungsgeschichte von „Letter To Dana“. Die Megaballade der Finnen gehörte für mich zu den mit der größten Spannung erwarteten Songs des Abends. Die Umsetzung im Rahmen des Akustiksets war dann auch durchaus gelungen, reichte aber leider dennoch nicht an die Version der „Live In Finland“ Scheibe heran, da man dort eine noch akustischere Version präsentiert hatte. Das Publikum feierte den Song dennoch richtig ab und auf den Plätzen und Rängen wurde lautstark mitgesungen. Ernstere Töne schlug der ansonsten gewohnt unterhaltsame Tony vor „I have a right“ an, bevor sich die Band mit „Black Sheep“ als schwarzes Schaf der Szene outete. Es folgte eine Hommage an die DIRE STRAITS, die nahtlos in „Among the Shooting Stars“ überging.
Dass ein gewisser Bekanntheitsgrad auch Schattenseiten haben kann, erklärte Tony vor dem nächsten Song. In einer finnischen Karaoke-Bar ist offenbar ein Schild aufgehängt mit der Aufschrift „No Tallulah!“ Doch das Publikum in der Fabrik ließ sich das Singen heute nicht verbieten: Aus voller Brust, mit geschlossenen Augen, mit vollstem Körpereinsatz und lautstark sangen die Fans jede Zeile mit. Grandios. Die Band war vom anschließenden Tsunami-artigen Applaus regelrecht gerührt.
Spaßvogel Tony nutzte die folgende kurze Pause für eine Umfrage unter den Bandmitgliedern, um herauszufinden welches das jeweils erste Auto war. Während Keyboarder Henrik schnell versicherte, dass er nur Mercedes fahre, hatte der Rest der Band die ersten Erfahrungen vor allem mit asiatischen Modellen gesammelt. Doch Tony hatte seine Autos in bar bezahlt: „Paid in Full“. Der Song vom „Unia“ Album gehörte für mich zu den Songs, die am meisten von der Adaption fürs „Acoustic Adventures“ Set profitiert hatte, denn die Nummer kam bärenstark rüber. Den Abschluss des regulären Sets bildete das ebenfalls starke „Flag in the Ground“. Unter tosendem Applaus verließ die Band die Bühne. Die Finnen kehrten jedoch kurz darauf zurück, um mit „Victoria`s Secret“ vom 2003er Album „Winterheart‘s Guild“ in den  Zugabenteil zu starten. Als großes Finale gab es dann „The Wolves Die Young“ von „Pariah’s Child“, bevor sich die gutgelaunten Finnen endgültig vom Hamburger Publikum verabschiedeten.
Meine Kritik hinsichtlich der Umsetzung der „Acoustic Adventures“ Idee konnte das gut 1.5stündige Set der Band zwar nicht gänzlich ausräumen, dennoch konnten SONATA ARCTICA mit ihrer Spielfreude und mit viel Humor auf ganzer Linie überzeugen. Die Nähe zum Publikum sowie die Songauswahl hatten dazu beigetragen, dass der bestuhlte Innenraum der Fabrik im Laufe des Konzerts zu einem Hexenkessel wurde und die Fans sangen fast jeden Song lautstark mit.
SONATA ARCTICA bescherten dem Hamburger Publikum an diesem Abend ein akustisches Abenteuer, das die Band stellenweise von einer neuen Seite zeigte und das es Fans und Band erlaubte, sich in intimer Atmosphäre so nah zu sein wie selten zuvor. Folglich sah man nach der Show vor allem eins: zufriedene Gesichter!

Ort

Hamburg – Fabrik

Kategorie

Setlist

Playlist Sonata Arctica

1. Life
2. Only the Broken Hearts
3. Half a Marathon Man
4. The Rest of the Sun Belongs
5. As if the World wasn’t ending
6. Full Moon
7. Letter to Dana
8. Alone in Heaven
9. On the Faultline
10. Wolf and Raven
11. I have a right
12. Black Sheep
13. Among the Shooting Stars
14. Tallulah
15. Paid in Full
16. Flag in the Ground
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17. Victoria’s Secret
18. The Wolves Die Young

Spielzeit

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