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Dritte Wahl, Zona84 – Musikzentrum Hannover, 17.11.2017
| Thorsten Zwingelberg | Konzerte
„Punk’s Not Dead“… aber doch deutlich älter geworden. DRITTE WAHL werden bald 30 Jahre alt und im Publikum hatte das ein oder andere graue Haar die bunten Punkfrisuren der Anfangstage weitestgehend ersetzt. Von Altersheim-Atmosphäre war im ausverkauften Musikzentrum dennoch nichts zu spüren.
Als wir um kurz nach 19 Uhr als erste das Musikzentrum betraten, mussten wir zwar noch halb über die Flightcases der Merchandiser klettern, dafür konnten wir uns einen komfortablen Balkonplatz mit bester Aussicht auf Bühne und Publikum sichern.
Als die Argentinier ZONA 84 gegen 20 Uhr auf die Bühne stürmten war das Musikzentrum bereits gut gefüllt und es wurde sofort klar, dass die südamerikanischen Punk Urgesteine – immerhin rocken sie bereits seit 1993 durch die Welt – nicht nur musikalische Untermalung für die ersten Aufwärmbiere waren. Im Publikum konnte man eine ganze Reihe ZONA 84 Shirts ausmachen und viele Fans erweckten zumindest den Eindruck einer gewissen Textsicherheit – und das obwohl die Band ausnahmslos auf Spanisch singt. Ich werde ja mit spanischsprachigen Songs nicht so richtig warm, trotzdem waren die Argentinier recht gefällig und die Mucke wusste zu gefallen. Zwischenzeitlich fragten wir uns sogar, ob die Band eine Art Coverversion von „I fought the Law“ (gemischt mit „American Land“) ins Set eingebaut hatte, aber es war wohl eine Eigenkomposition. So oder so, nach 45 Minuten war Schluss und die Bühne wurde für den Headliner präpariert.
Auf ihrer Reise durch die Republik beamten sich DRITTE WAHL pünktlich um 21 Uhr auf die Bühne des Musikzentrums und schlugen den Fans, die zeitweise in einer silbernen Konfettiwolke verschwanden, gleich den Opener des aktuellen Albums „10“ um die Ohren: „Scotty“. Und nach so einer Woche wie ich sie hinter mir hatte, wünscht man sich tatsächlich, dass „Scotty“ uns bald in eine andere Dimension beamt. Aber manchmal tut es auch eine Dosis guter Punkrock! Anschließend entschuldigte sich Frontmann Gunnar für möglicherweise nicht in der Playlist auftauchende Songs und versprach, dass man sich bemüht habe alle Stationen der Bandgeschichte ins Programm einzubauen. Dementsprechend fabrizierten die Rostocker am heutigen Abend einen riskanten Ritt den Band-Zeitstrahl hoch und runter. „Halt mich Fest“, „Zu Wahr Um Schön Zu Sein“ und dann kam mit „Störung“ bereits das erste ganz große Highlight aus der Vergangenheit und das Publikum rastete förmlich aus.
Für eine so politische Band wie DRITTE WAHL, fielen die Ansagen von Gunnar in politisch chaotischen Zeiten wie diesen erstaunlich unpolitisch aus, und so schaffte es die Band über den gesamten Abend bestens zu unterhalten, ohne in belanglosen Klamauk zu verfallen. Trotz vieler kritischer Texte einen unbeschwerten Abend zu ermöglichen – auch das kann Politik sein.
Das aktuelle Album wurde mit Songs wie „Zum Licht empor“, dem maritimen „So lange her“, „Was wirst du tun?“, „Der Feind des Guten“ oder „25 Cent“ reichlich beachtet und doch blieb genügend Zeit für alte Klassiker wie „Wo ist mein Preis“ oder „Greif ein“ und „Hash“. Zu „Keine Angst“ stürmte ZONA 84 Sänger Juan auf die Bühne und versah den Song kurzerhand mit einem seiner Texte. Funktionierte auch – Musik ist eben global, wie Sänger Gunnar anschließend feststellte. Allerdings ist der Feind von „Gut“ tatsächlich „Besser“, denn mit den originalen Lyrics gefällt mir der Song einfach besser. Nach fast zwei Stunden endete die reguläre Setlist dann mit „Fliegen“ vom „Gib Acht“ Album. Und die abgekämpfte Menge sang begeistert aus voller Kehle mit. Eine derartige Ausdauer hatte ich zum letzten Mal erlebt, als RICHIE BLACKMORE im Capitol „Smoke on the Water“ zum Besten gegeben hatte. In gleicher Manier verließen die Musiker von DRITTE WAHL die Bühne und kamen erst Minuten später zurück, um wieder in den Song einzusteigen. Grandios.
Der erste Zugabenteil war – wie der gesamte Abend - eine gelungene Mischung aus alt und neu, und nach „Der Himmel über uns“, „Geblitzdingst“ und „Hash“ schloss die Band diesen Teil mit dem genialen „Zeit bleib stehen“ ab. Im Gegensatz zur Songaussage traten die Rostocker dabei ordentlich aufs Gaspedal und präsentierten den Song in Hochgeschwindigkeit.
Nach erneutem kurzem Rückzug in den Backstagebereich wurde die Band abermals zurück auf die Bühne gebeten und schob noch „Was weiß ich schon von der Liebe“, „Dummheit kann man nicht verbieten“ und das etwas melancholische „Kein Wort“ nach – begleitet von einem Niederschlag roter und weißer Schnipsel aus zwei Nebelkanonen, die nicht nur das Mischpult mehrfach unter einer dicken Schicht begruben, sondern auch das Partyvolk.
Für meinen Geschmack ist „Kein Wort“ als Rausschmeißer etwas zu melancholisch und ich hätte mir einen flotteren Song gewünscht – vielleicht tauscht man einfach den Song mit „Zeit bleib stehen“.
Dass das Ende dann doch noch positiv begangen werden konnte, lag daran, dass DRITTE WAHL – vollkommen zu Recht – als die SCORPIONS des Punkrock gehandelt werden und Gunnar – wie er heute erläuterte – bei dem selben Chorleiter in die Gesangsschule gegangen war wie unser lieber Klaus Meine. Dementsprechend schob der Soundmann am Ende noch die „Wind of Change“ Single in den Player und drehte voll auf. Basser Stefan und Frontmann Gunnar ließen es sich dann auch nicht nehmen den Song auf der Bühne mit Luftgitarre und vollem Körpereinsatz zu performen.
Es war kurz vor Mitternacht als der Abend mit DRITTE WAHL zu Ende ging. Und trotz der langen Spielzeit fühlt man sich stets bestens unterhalten, was auch an den Entertainerqualitäten von Gründungsmitglied Gunnar lag, der mit ausufernden Ansagen und Geschichten immer wieder für Lacher sorgte. Da werden selbst das Saitenstimmen und der Kabelwechsel zu Highlights eines Sets. Zwar belehrte Gunnar die Fans während der Show auch über die Grenzen des „Widerrufsrechtes“ bei einer DRITTE WAHL, denn der Bandname sage ja schon genügend über die zu erwartende Qualität aus, doch tatsächlich wird nach einem solchen Abend niemand auf die Idee kommen, der Band irgendeinen „Etikettenschwindel“ vorzuwerfen. Zumal mit Stefan einen Basser in der Band hat, der nicht nur einen „aktiven“ Bass handeln kann, sondern sogar, oft zur eigenen Verwunderung – wie Gunnar bemerkte -, durch Bearbeitung des Griffbrettes die verschiedensten Töne aus seinem Langholz herausholen kann.
Als ich die Band anno irgendwann in einem zugedopten Salzgitteraner Jugendclubkeller das erste Mal live erlebt habe, hat die Eintrittskarte 10,- DM gekostet, vor der Eingangstür schnorrten sich einige Punks diese Summe zusammen, um schließlich für 9.89 DM in kleinen Münzen Einlass zu verlangen und im Vorprogramm mühten sich S.H.I.T. aus Salzgitter und die DÖDELHAIE“ ab. Etwa 25 Jahre und etliche Alben später haben DRITTE WAHL nichts von ihrem Unterhaltungswert verloren und sind noch immer ein schmerzhafter Stachel im verdorbenen System, ohne dabei verbittert zu wirken. Und dass die Band ihren eigenen Überzeugungen treu bleibt, zeigt sich nicht nur an der Spendenbox für Kuba, den fair gehandelten Merchandiseartikeln oder der Gästelistenspende für die Krebshilfe, sondern auch an den überaus fairen Eintrittspreisen von 20-25 Euro pro Abend. Für den Ticketpreis bekommt man heute kaum noch eine etablierte Band zu sehen und erst recht spielt dafür niemand mehr über 2.5 Stunden und feuert dazu auch noch aus allen Konfettikanonen.
DRITTE WAHL bescherten mir am heutigen Abend eins der besten Konzerte die ich in den letzten Jahren besucht habe. Ich werde sicherlich wiederkommen, keine Frage!
Der einzige Wermutstropfen des Abends ist mein schöner neuer DRITTE WAHL Pulli, der leider nach einer Größentabelle des Auenlandes angefertigt worden zu sein scheint und dementsprechend nur als bauchfreie Wurstpelle zu tragen ist. Die Anprobe vor Ort ist sei euch daher wärmsten empfohlen!