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The Hirsch Effekt im Interview

Vor ihrem Auftritt im Musikzentrum hatten wir die große Ehre, mit THE HIRSCH EFFEKT ein wunderbares Interview über ihr neues Album "Urian", Ticketverkäufe, das Touren nach Corona und ihre Alben des Jahres zu führen.



Twilight
: Erstmal einen wunderschönen guten Abend. Schön, dass es hier geklappt hat und dass ihr euch zwischen all dem Tourstress Zeit nehmt, hier ein Interview mit uns zu führen. Heute sind wir in Hannover, das ist ja eure Heimat, das Heimspiel. Ist das anders als die anderen Konzerte auf einer Tour, wenn man in der Heimat spielt?

Nils: Ja, es fängt schon mit der Anreise an.

Ilja: Es fängt schon mit der Gästeliste an, mit der Vollheit (lacht). Und daran merken wir immer, dass doch so etwas wie ein Heimspiel ist. Das ist in anderen Städten nicht so krass.

Nils: Und die Anreise. Da wir heute in Hannover spielen, haben wir gesagt, komm, wir stellen den Hänger hier ab, fahren nach Hause und sind heute mit dem Fahrrad bzw. dem Uber – auf jeden Fall kurzstreckig - hierhergekommen. Das fühlt sich gleich ganz anders an, wenn man mit dem Fahrrad zum Club fährt, man früh da ist und keine lange Autofahrt hinter sich hat. Das macht schon etwas aus.

Moritz: Hinzu kommt, dass wir schon seit mehreren Jahren immer hier im Musikzentrum spielen, was einfach verglichen mit anderen Clubs, in denen wir so sind, irgendwie so ein bisschen größer und technisch top ausgestattet ist. Außerdem kann man sich hier einfach überall ausbreiten und super entspannt aufbauen. Ja, es ist einfach immer wieder schön hier.

Nils: Genau dazu noch die Situation, dass hier viele Auszubildende sind, weil das ja so von der Stadt auch glaub ich so ein Laden ist. Die sind dann auch da und helfen gerne und so.

Moritz: Man ist hier immer willkommen und alle sind motiviert und packen mit an.

Twilight: Das klingt echt cool. Ihr habt gerade schon gesagt, ihr seid gestern aus Bremen angekommen. Wie war denn die Tour bisher für euch?

Moritz: Geil! Ich meine, man malt sich ja vorher immer aus, wie das sein könnte, man guckt vorher immer viel zu oft in die Vorverkaufszahlen, die man Woche für Woche bekommt und vergleicht diese mit früheren Konzerten, obwohl man das nicht machen sollte und fragt sich: Wie viele kommen letztlich wirklich? Aber wir wurden dann doch jedes mal aufs Neue positiv überrascht und uns macht es nach wie vor Spaß.

Ilja: Ja die Stimmung ist sehr gut auf dieser Tour. Sie ist sogar besser als auf den vorherigen Touren. Ich weiß nicht so richtig, woran das liegt. Es war auf Grund der komischen Musik, die wir machen, jetzt auch nicht immer selbstverständlich, dass Metalheads oder Hardcore-Leute zu Moshen oder zu Pogen anfangen.
Früher hatten wir auch sehr viele Konzerte, wo die Menschen eher nur konzentriert zugehört haben, die Musik wertgeschätzt haben, das cool fanden, was wir machen. Jetzt gab es auf fast jeder Show auch mal Pits, die Leute singen mit, hüpfen herum, sind einfach körperlich auch richtig dabei. Das war schon was anderes als früher und da hat man gemerkt: Wow, hier geht echt die Post ab und die Leute bringen viel gute Laune mit.

Nils: Wir ziehen immer Vergleiche zwischen unserer aktuellen Tour und der letzten großen Tour, die wir zwischen 2017 und 2018 hatten. Nach dieser Tour brachten wir ein Album heraus, das während der Corona-Pandemie erschien, gefolgt von einer EP. Aber diese waren nicht Teil einer richtigen Album-Tour, und das liegt jetzt schon sechs Jahre zurück. 
Als Band müssen wir uns fragen, wo wir heute stehen. Man erwartet normalerweise, dass mit jeder Tour mehr Leute kommen. Aber die Pandemie und die lange Zeitspanne von sechs Jahren haben das Publikum verändert. Jetzt haben wir den Eindruck, dass die Fans, die zu unseren Konzerten kommen, echte, langjährige Anhänger sind. Es sind nicht viele neue Fans dabei, aber die, die da sind, freuen sich umso mehr, dass wir noch existieren und weiter Musik machen. 
Das zeigt sich auch in ihrem Verhalten beim Kauf von Merchandise. Obwohl vielleicht insgesamt weniger Fans da sind, geben die, die kommen, mehr für Merchandise aus. Es ist ein qualitativer Unterschied in der Unterstützung, den wir bemerken, nicht unbedingt ein quantitativer.

Ilja: Ja, es ist wirklich eine Wertschätzung da. Das könnte teilweise an unserer Musikrichtung liegen.

Nils: Stimmt, es mag teilweise an der Musikrichtung liegen. Aber oft wird uns auch direkt gesagt, dass die Fans wollen, dass wir weitermachen.
Wir haben die Corona-Pandemie selbst erlebt und wissen, wie hart es für eine Band sein kann. Wir haben ein Album während Corona herausgebracht, was eine Herausforderung war. Wenn Fans zu uns kommen und sagen, sie wollen, dass wir weitermachen, dann zeigen sie das oft, indem sie unser Merchandise kaufen.

Twilight: Ihr habt bereits erwähnt, dass ihr die Verkaufszahlen genau im Blick habt. Glaubt ihr, dass die Pandemie die Ticketverkäufe beeinträchtigt hat?

Ilja: Das ist mehr als nur ein Gefühl – es ist eine Tatsache. Egal in welcher Größenordnung, besonders kleine Konzerte sind momentan stark betroffen. Große Namen wie Metallica, die auf Welttournee gehen, verkaufen immer noch ihre Tickets, aber viele mittelgroße Bands, bei denen man nie Probleme beim Ticketverkauf erwartet hätte, mussten ihre Tourneen verschieben, weil es finanziell einfach nicht tragbar war. Das betrifft verschiedene Genres, von Punkbands wie Millencollin bis hin zu deutschen Indie-Größen wie Tocotronic und Metalbands wie Meshuggah.

Nils: Es gibt allerdings auch Bands, die während der Pandemie aufgestiegen sind und andere Zielgruppen ansprechen. Aber allgemein hat sich das Kaufverhalten der Menschen verändert. Es scheint, als würden sie sich auf wenige große Namen konzentrieren, selbst wenn die Ticketpreise hoch sind, wie bei Taylor Swift, und dann eher auf kleinere Acts verzichten, besonders in Anbetracht steigender Lebenshaltungskosten.

Twilight: Könnte da auch eine gewisse Konzertmüdigkeit eine Rolle spielen?

Ilja: Das ist schwer zu sagen.

Nils: Es gibt sicherlich viele Faktoren. Früher haben wir unser Publikum hauptsächlich über Social Media erreicht, aber das hat sich geändert. Seit dem Release unserer LP "Kollaps" während der Pandemie ist unsere Reichweite deutlich gesunken, und wir erreichen nicht mehr alle unsere Follower. Wir müssen neue Wege finden, um unsere Fans zu erreichen und zu halten. Aber manchnal ist es auch frustrierend. Zum Beispiel, wenn wir oldschool Poster drucken und dann in den Club kommen und feststellen, dass kein einziges aufgehängt wurde.

Twilight: Wie geht ihr mit den Veränderungen in den Social Media Plattformen um, insbesondere im Metal Bereich?

Nils: Wir sind bei Tiktok und versuchen, in diesem Sektor viel zu machen. Es ist schwierig, ohne sich zu verbiegen, aber wir haben noch keinen Weg gefunden, der wirklich funktioniert.

Ilja: Verschiedene Altersgruppen nutzen verschiedene Plattformen. Viele junge Leute sind nicht mehr auf Facebook und kennen das kaum. Als Band müssen wir uns darauf einstellen, alle Altersgruppen zu erreichen. Das bedeutet, aktiv auf Facebook zu sein, aber auch traditionelle Methoden wie das Versenden von Postern zu verwenden, weil einige Leute nicht so in der virtuellen Welt leben wie die jüngere Generation.

Nils: Das erfordert viel Mehraufwand. Wir müssen wirklich alles bedienen und es ist fraglich, ob das überhaupt möglich ist. Bei TikTok zum Beispiel kann man die Effekte nicht so richtig ablesen. Nur weil ein Instagram-Post besonders gut performt, heißt das nicht, dass jemand ein Ticket kauft oder Merchandise oder überhaupt in die neue Single reinhört.

Twilight: Es gibt also keine Garantien mehr, egal wie gut es läuft?

Moritz: Genau, die COVID-Zeit hat die Tourplanung und den Vorverkauf komplett verändert. Früher konnte man anhand der Vorverkaufszahlen gut abschätzen, wie viele Leute zu den Konzerten kommen würden. Aber jetzt ist es zunehmend schwieriger. Konzerte und Tourneen werden oft abgesagt oder verschoben.

Twilight: Das muss eine Herausforderung sein, ohne finanzielle Garantien.

Moritz: Absolut. Man muss sich darauf einstellen. Viele Veranstalter erkennen das auch. Sie denken, der Vorverkauf wird schon klappen, aber oft wird es dann kurz vorher nochmal knapp.

Nils: Ja, und manche Veranstalter reagieren anders bei schwachem Vorverkauf. Man fragt sich, was man da machen soll. Wir können nur eine gute Platte machen und hoffen, dass sie Anklang findet.

Ilja: Richtig, und die Promo hat sich auch geändert. Früher war es Aufgabe des Labels, jetzt liegt es mehr an uns. Es war mal so, dass man anhand von Facebook-Veranstaltungen abschätzen konnte, wie viele Leute kommen. Aber jetzt hat sich das komplett gewandelt.

Twilight: Ihr habt ja schon einiges über die Tour erzählt. Was waren bisher eure Highlights, insbesondere in Zusammenarbeit mit anderen Bands wie A Kew’s Tag und Kyhl? Ich erinnere mich da an ein kleines Hin und Her auf Instagram mit Johannes Weik.

Nils: Ja, bei einer der ersten Shows, habe ich ein Tappingsolo verkackt. Ich hatte Johannes von A Kew’s Tag gebeten, ob er das nicht einfach spielen könnte. Er ist ja ein echter Tausendsasser. Aber leider konnte er am letzten Abend nicht dabei sein, weil sie wegen einer Erkrankung ihres Sängers Julian früher abreisen mussten. Abgesehen davon war das Euroblast Festival ein Highlight, und besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Konzert in Aukrug. Es ist ein kleines Festival, bei dem wir nicht wussten, was uns erwartet. Die Atmosphäre war erst unsicher, aber es hat sich als super Auftritt herausgestellt, da das Publikum wirklich dabei war und geblieben ist.

Moritz: Ja, genau. In Kassel war es ähnlich. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwartet, aber es wurde zu einem vollgepackten Konzert. Und dann war da noch Hamburg, einfach unglaublich. Insgesamt war das Publikum auf dieser Tour überall viel engagierter als bei früheren Touren.

Twilight: Kleiner Themenwechsel: Die Kritiken zu eurem Album "Urian" sind ja durchweg positiv, und ihr habt es bis auf Platz 31 der Albumcharts geschafft. Herzlichen Glückwunsch dazu! Was denkt ihr, macht "Urian" so erfolgreich, und seid ihr an dieses Album anders herangegangen als an eure vorherigen?

Nils: Erfolg ist ja immer ein bisschen schwer zu definieren, besonders in diesem Zusammenhang. Aber was ich herauslese, ist, dass wir auf "Urian" eine breite Palette von Stilen abdecken, von den ruhigeren Akustiknummern bis hin zu den härteren Stücken. Die Stimmung, die wir damit erzeugen, insbesondere bei den ruhigeren Liedern in der Albummitte, kommt gerade deshalb so gut zur Geltung, weil sie von intensiveren Songs umgeben sind. Das haben wir meiner Meinung nach sehr atmosphärisch umgesetzt.

Ilja: Genau, das Album fühlt sich insgesamt atmosphärischer und ein wenig melancholischer an. Es erinnert ein bisschen an die Art, wie wir zu Beginn unserer Karriere Musik gemacht haben. Ganz anders als "Kollaps", das ja viele kurze Lieder hatte. "Urian" lässt sich fast wie ein einziges langes Stück hören, was wohl vielen unserer Fans gefallen hat. Es scheint, dass sie die Stimmung unserer früheren Alben vermisst haben, und wir haben versucht, darauf zurückzukommen.

Twilight: Und wie sieht es mit der Produktion aus? Gab es da Veränderungen im Vergleich zu früher?

Moritz: Auf der Produktionsseite ist es definitiv moderner. Wir haben versucht, die akustischen Elemente feiner herauszuarbeiten, was den Songs eine neue Tiefe verleiht.

Ilja: Es ist wahr, man kann nie genau sagen, wie ein Album am Ende klingen wird. Man schreibt das, was einem in dem Moment gefällt, und hofft, dass es auch bei den Fans und Kritikern ankommt. In diesem Fall scheint es gut funktioniert zu haben.

Twilight: Nun, abgesehen von "Urian", was sind eure persönlichen Alben des Jahres?

Ilja: Es ist schwer zu sagen, da so viele Alben herausgekommen sind. Aber das neue Album von TesseracT fand ich wirklich gut. Es ist lang und modern – es hat einfach diese coole Energie.

Das neue Queens of the Stone Age Album "Times New Roman" hat mich auch positiv überrascht. Ich fand es wirklich gut.

Nils: Ein Album, das für mich definitiv nicht zum Album des Jahres zählt, ist das neue von Blink 182. Ich bin mir nicht sicher, ob die Welt das wirklich noch mal gebraucht hat.

Ilja: Kam das neue Metallica Album dieses Jahr raus? Das hat mich irgendwie positiv überrascht. Die Produktion war gut, und man hat den Bass das erste Mal halbwegs gehört. Ich glaube, Rob (Trujillo) hab ich zum ersten Mal mit einem Plektrum spiele hören.

Nils: Ja, "Ashen" von Humanity's Last Breath würde ich der Liste noch hinzufügen.

Ilja: Ich muss zugeben, ich komme mit der Menge an neuer Musik nicht ganz hinterher. Es gibt so viel zu entdecken.

Twilight: Eine entspannte Abschlussfrage noch: Was ist das erste, was ihr macht, wenn die Tour vorbei ist und ihr endlich wieder in den eigenen vier Wänden angekommen seid?

Nils: Naja, dadurch, dass wir ja zwischendurch immer wieder zuhause sind, so wie auch dieses Wochenende, ist es ja nicht ganz so intensiv. Ich hatte zum Beispiel letzte Woche schon so einen Moment, wo ich dachte, das ganze Gehustle lässt schon ein wenig nach.

Moritz: Ich brauche meistens nach so einer Tour erst Mal zwei Tage nur für mich, weil ich es schwierig finde, wieder in so einen Alltagsrhythmus hineinzufinden. Einfach ein paar Tage, wo nichts ansteht.

Ilja: Dadurch, dass ich in Berlin wohne, ist es bei mir noch ein Bisschen anders. Ich bin jetzt zwei Monate unterwegs und ich glaube nach der Tour werde ich erst mal eine Woche schlafen.

Twilight: Dann bedanke ich mich für das Interview und wünsche ein wunderbares Konzert!


Bild Copyright:
Christoph Eisenmenger

Infos

  • Erstellt am

    18. November 2023
  • Line Up

    Nils Wittrock - guitar, vocals
    Ilja John Lappin - bass, cello, vocals
    Moritz "Mr. Moe" Schmidt - drums
  • Redakteur

    Paul Schnurer